Pflegebedürftigkeit, unausweichliche Katastrophe?
Die steigende Lebenserwartung wird von der Politik oft als nahezu unlösbares Problem dargestellt. In Kombination mit der sinkenden Geburtenrate scheint ein gesellschaftlicher Kollaps unausweichlich. Doch ist dieser Alarm wirklich berechtigt, oder steckt dahinter auch ein eigennütziges Interesse der Politik? Einige Überlegungen von Alfred Ebner, Generalsekretär der Rentnergewerkschaft LGR/SPI.
Wie sehen Sie diese Angelegenheit?
Alfred Ebner: Das Problem ist real, aber differenziert zu betrachten. Die Alterung der Gesellschaft ist absehbar, während die Entwicklung der Geburtenrate deutlich schwerer vorherzusagen ist. Die Gründe für die steigende Lebenserwartung sind gut erforscht, die Ursachen für sinkende Geburtenraten hingegen vielfältig und weniger eindeutig. Manchmal zieht man diese Statistiken heran, um das Rentenalter zu erhöhen oder auf die Notwendigkeit hinzuweisen sich im Alter selbst abzusichern. Mit schönem Gruß von den Versicherungsgesellschaften.
Sind die Befürchtungen also berechtigt?
Hier wäre ich vorsichtig. Es stimmt, dass die geburtenstarken Jahrgänge bald in Rente gehen und in einigen Jahren auch die Zahl der Pflegebedürftigen dadurch steigen wird. Allerdings bleibt die ältere Generation heute deutlich länger fit. Statistiken zeigen, dass viele Menschen bis ins hohe Alter – o über 75 Jahre hinaus – aktiv sind. Pflegebedürftig wird man laut Statistik in den letzten zwei Lebensjahren. Das war auch früher so. Hier hat sich wenig geändert. Das eigentliche Problem ist die große Zahl der in den 50er- und 60er-Jahren Geborenen sowie der starke Anstieg der Lebenserwartung seit den 1970er-Jahren. Diese Phase gilt es zu überbrücken, was sicherlich tragbar ist. Danach dürfte sich die Situation wieder normalisieren, zumal die Lebenserwartung zuletzt nur noch langsam steigt.
Was ist zu tun?
Natürlich wären steigende Geburtenraten wünschenswert, doch kurzfristig lösen sie das Pflegeproblem nicht, da der Zeithorizont schlicht zu lang ist. Viel wichtiger ist, dass die Senioren möglichst lange gesund und aktiv bleiben und sich gesellschaftlich einbringen. Prävention und ein gesunder Lebensstil sind die Voraussetzung. Auch das aktive Altern ist zu stärken. Oftmals verrichten ältere Mitmenschen auch Pflegetätigkeiten, die heute ja zumeist von Familien oder Freiwilligenvereinen übernommen oder unterstützt werden. Hier liegt jedoch eine zukünftige Schwachstelle: Die Familienstrukturen sind kleiner geworden und die Menschen mobiler.
Was bedeutet das für die Pflege?
Der Großteil der Pflege wird heute von Angehörigen geleistet. Doch mit steigendem Rentenalter und Kindern, die aus beruflichen Gründen weit entfernt leben, wächst der Bedarf an professionellem Pflegepersonal. Informelle Pflege verursacht für Familien keine direkten Kosten, doch künftig wird sich das ändern. Angesichts des Personalmangels werden auch die Gehälter steigen, um Pflegeberufe attraktiver zu machen. Mehr Bedürftige, weniger familiäre Eigenleistungen, besser bezahltes Personal und Investitionen in Pflegeeinrichtungen werden die Kosten deutlich erhöhen, Schätzungen zufolge auf bis zu 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2035, alleine in Südtirol.
Wer soll das bezahlen?
Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur eine Angelegenheit der Betroffenen. Aus diesem Grund wurde der Pflegefonds geschaffen, eine bis heute bewährte und wichtige Einrichtung. Der Fonds muss in seiner jetzigen Form erhalten bleiben, auch wenn spezifische Anpassungen immer wieder notwendig sind. Vor allem braucht es endlich eine Anpassung an die Inflation, da diese seit der Einführung des Fonds ausgeblieben ist! Denkbar wäre auch ein zusätzlicher Beitrag der Bürger, etwa über die Einkommenssteuer. Solche Vorschläge gab es bereits in der Vergangenheit von Poli k und Gewerkschaften.
Sind Versicherungsmodelle eine Alternative?
Nur wenn die Poli k den Erhalt des Pflegefonds in der derzeitigen Form längerfristig garantiert. Eine Verschiebung von Leistungen in Richtung Versicherung lehnen wir strikt ab. Eine zusätzliche, freiwillige Versicherung könnte allerdings die monetären Leistungen verbessern, ohne Mehrkosten für das Land zu verursachen und würde die Bürger zusätzlich abdecken. Banken und Versicherungen bieten solche Modelle bereits an. Daher wäre es wich g, dass die Poli k und die Sozialpartner ein eigenes Modell entwickeln bei dem sie mitbestimmenkönnen. Teilnehmen könnte momentan allerdings nur, wer über die nötigen Mittel verfügt. Gerade Geringverdiener und Menschen ohne regelmäßiges Einkommen wären ausgeschlossen – dabei hä en sie den größten Bedarf an zusätzlicher Unterstützung. Hier braucht es gerechtere Lösungen um allen diese Möglichkeit zu eröffnen. Keine leichte Aufgabe.
Ist sie lösbar?
Es braucht der politische Wille dazu. Am Ende müssen Gemeinden und das Land ohnehin für jene einspringen, für die der Pflegefonds und das Einkommen nicht ausreichen. Hier könnte man neue Ansätze zu entwickeln. Wichtig ist, dass allen Bürgerinnen und Bürgern die Chance auf eine zusätzliche Absicherung geboten wird, wobei die Entscheidung darüber aber immer beim vom Einzelnen liegen muss.